„Landwirtschaft und Photovoltaik geht das zusammen?“ haben wir in der Januar Ausgabe gefragt. Mittlerweile lässt sich sagen: ja, das geht. Aber von vorne.
Am 03. Februar 2023 fand in Großneuhausen das erste Projekttreffen zum Thema Klimaneutrale Kommune VG Kölleda statt. Im Kern ging es um drei Dinge: die Beteiligung der Bürger an der Energiewende im Allgemeinen, die kommende Bürgerenergiegenossenschaft in der VG Kölleda und die neue Technologie der Agrar-Photovoltaik.
Rund 70 Teilnehmer tauschten sich rund sechs Stunden lang ausführlich zu den o.g. Themen aus. Gemeinden aus vier Thüringer Landkreisen waren vertreten, Landwirte, Wissenschaft, Politik, Wirtschaft, Interessenverbände, Förderinstitutionen und Banken.
Begrüßt wurden die Teilnehmer vom Großneuhauser Bürgermeister Torsten Köther, der darauf hinwies, dass die Region von Großneuhausen aus schon einmal einen wirtschaftlichen Aufschwung erfahren hatte, da hier durch Christian Vogel der kulturmäßige Heil- und Kräuterpflanzenanbau begründet wurde. Ähnliche Impulse erhoffe er sich nun von den erneuerbaren Energien. Er wies darauf hin, wie wichtig es für das Gelingen der Energiewende ist, dass die Wertschöpfung in den Standortgemeinden bleibt.
Der VG Vorsitzende Sebastian Goldhorn stellte, als Einführung in die Hauptthemen der Veranstaltung, die Smart Region Strategie der VG Kölleda vor. Ziel der Strategie ist es, innovative Ansätze für die alltäglichen Probleme von ländlichen Kommunen zu finden und dabei „über den Tellerrand“ zu schauen. Als Beispiele für die konkreten Projekte innerhalb der Strategie nannte er die Etablierung von 24-h-Dorfläden, die Eröffnung von Gesundheitskiosken und eben die konsequente Nutzung der erneuerbaren Energien. Wie sein Vorredner stellte er dabei heraus, dass es dabei insbesondere um die finanzielle Teilhabe der Bürger in den Standortgemeinden geht. Er unterstrich dabei, wie wichtig der VG Kölleda die Gründung einer lokalen Energiegenossenschaft ist, in der sich jeder Bürger aus der Region gegen einen geringen Betrag beteiligen kann und dafür eine attraktive Verzinsung erhalten soll. Investieren soll die Genossenschaft in die Ausstattung der kommunalen Gebäude mit Photovoltaik, Freiflächen-PV-Anlagen und perspektivisch auch in den zweitgrößten Windpark Thüringens an dessen Fuß die VG liegt. Seinen Vortrag rundete Goldhorn mit dem Bild einer Rosine ab. Damit sollte deutlich werden, was die VG nicht will: Investoren, die sich das rentabelste Projekt vor Ort heraussuchen und dann ohne nachhaltiges Engagement vor Ort wieder das Weite suchen.
Landrat Harald Henning war ebenfalls gekommen und unterstrich den enormen Beitrag den die Landwirtschaft durch Flächenverluste schon jetzt zur Energiewende beigetragen hat. Er listete auf, welche Anlagen für erneuerbare Energien es schon im Landkreis gibt: 101 Windräder, 21 Biogasanlagen, vier Wasserkraftanlagen sowie Photovoltaikanlagen mit rd. 10 Hektar Fläche. Aufgrund der aktuellen Vorgaben des Bundes werde noch mehr kommen. Das Landratsamt werde jeden neuen Antrag gründlich prüfen und wo es möglich sei auch genehmigen. Clemens Ortmann von der Regionalen Planungsgemeinschaft Mittelthüringen erläuterte dann die planerischen Voraussetzungen für Windkraft- und Photovoltaikanlagen auf freier Fläche.
Ein Thema das für viele Teilnehmer neu war und mit entsprechend großem Interesse erwartet wurde, war die in Deutschland noch relativ unbekannte Technologie der Agrar-Photovoltaik. Prof. Dr. Kerstin Wydra von der Fachhochschule Erfurt berichtete über Möglichkeiten und Varianten der Doppelnutzung von Flächen für Landwirtschaft und Photovoltaik. Dabei stellte sie Varianten der Bewirtschaftung unter den Modulen bzw. zwischen den Modulen vor. Sie unterstrich welche positive Wirkung solche Anlagen in Zeiten des Klimawandels für die Landwirtschaft haben können. Dazu zeigte sie zunächst auf, welche enormen Verluste die Landwirtschaft in den vergangenen Jahren durch den Klimawandel erlitten hat. Gerade in Extremsommern könne die Agrar-Photovoltaik dabei helfen, die Erträge zu sichern. Besondere Vorteile ergeben sich für den Wasserhaushalt, da durch die Teilverschattung weniger Wasser verdunstet, was sich in verringertem Wasserbedarf der Pflanzen zeigt. Zudem wird die Ernte vor Wetterereignissen wie Frost, Dürre, Hagel oder Starkregen geschützt. Folientunnel und Schutznetze werden damit unnötig. Das Fazit von Frau Wydra war: in der Zukunft wird nicht mehr über die Genehmigung von Agrar-Photovoltaik-Anlagen diskutiert werden, sondern nur noch darüber warum sie jemand ggf. nicht haben darf.
Nach der Einführung zum Thema Agrar-Photovoltaik stellte Hans Hartmann von der Solverde Projektentwicklung die Projektidee zum Bürgersolarpark Kleinneuhausen/Vogelsberg vor. Dort könnte nach Vorstellungen seines Unternehmens auf ca. 75 ha Fläche die größte Agrar-Photovoltaik-Anlage Deutschlands entstehen. Zum Einsatz kommen würden dabei spezielle Module, die der Sonne folgen (sog. Tracker) und die damit einen höheren Stromertrag erwirtschaften als herkömmliche Module. Die Landwirtschaft würde dann zwischen den Modulen stattfinden.
Im Anschluss hatten Martinus und Rick Janssen Landwirte aus Kleinneuhausen und Bewirtschafter der dortigen Flächen das Wort. Sie zeigten sich dem Projekt aufgeschlossen, verwiesen aber auf die zu erwartenden Investitionskosten für ihren Betrieb. Denn Landwirtschaft zwischen PV-Modulen lässt sich anders als auf großen Freiflächen nur mit kleineren Maschinen bewerkstelligen. Außerdem betonten Sie, dass alle Fragen der Haftung, der landwirtschaftlichen Förderung und des Naturschutzes im Detail geklärt werden müssten. In dieselbe Richtung argumentierte Martin Hirschmann, Geschäftsführer der Regionalgeschäftsstelle Mitte des Thüringer Bauernverbandes. Grundsätzlich sei man für die Technologie der Agrar-Photovoltaik. Der Teufel stecke aber im Detail und man sollte die Fehler die im Zusammenhang mit der Windkraft gemacht wurden, nicht wiederholen. Er verwies auf die Wichtigkeit des Erhalts der Agrar-Förderung für die Landwirte. Zum Thema der Förderung sprach anschließend Claudia Schwarzenau vom Agrarförderzentrum Mittelthüringen. Sie erläuterte, dass 2023 eine neue GAP-Förderperiode begonnen hat, die darauf abzielt die Landwirtschaft nachhaltiger zu machen. Gemäß der aktuellen GAP-Direktzahlungsverordnung wird die Förderung zu 85% weitergezahlt, wenn sich die landwirtschaftlich nutzbare Fläche unter Zugrundelegung der DIN SPEC 91434:2021-051 um höchstens 15 Prozent verringert.
Nach einer kurzen Mittagspause, erläuterte Sebastian Kulik von der TEN, dass der Bürgersolarpark in jedem Fall den Bau eines Umspannwerkes erforderlich machen würde, was in den Verantwortungsbereich des Betreibers falle. Grundsätzlich denkbar wäre auch der Anschluss an ein vorhandenes Umspannwerk in der Nähe. Allgemein erläuterte er zudem die Kapazitätsprobleme, die der Ausbau dezentraler Stromerzeugungsanlagen für die TEN mit sich bringe – technisch und in Bezug auf den Fachkräftemangel. Gleichzeitig verwies er aber auf den Auftrag seines Unternehmens zum Netzausbau und betonte, dass man natürlich immer um Lösungen bemüht sei.
Danach erläuterte Dr. Volker Schaedel von der Thüringer Aufbaubank die Aufgaben der Abteilung Kommunalberatung seiner Bank und zeigte die umfangreichen Unterstützungsmöglichkeiten für kommunale Investitionsvorhaben auf (Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Einschätzung der Genehmigungsfähigkeit usw.).
Die ThEGA ist die Landesenergieagentur des Freistaates Thüringen. Sie informiert und berät Kommunen, Unternehmen und Bürger zu den Themen der Energiewende. Von dort waren Ramona Rothe (Leiterin der Servicestelle Windenergie) und Daniel Krieg (Projektleiter Servicestelle Solarenergie) gekommen, um über die Themen Wind- und Solarenergie zu referieren. Frau Rothe erklärte, welche Auswirkungen der beschleunigte Ausbau der Windenergie für Thüringen haben wird und erläuterte welche Beteiligungsmöglichkeiten für Kommunen und Bürger bestehen. Herr Krieg ging auf das Thema Solarenergie ein und stellte anschaulich dar, dass die gesetzlichen Ausbauziele allein mit Dachanlagen nicht zu erreichen sind. Auch er verwies wieder auf den großen Fachkräftemangel. Sein Fazit: an den Bau von Freiflächen-Photovoltaikanlagen führt kein Weg vorbei. Auch er beleuchtete Beteiligungsmöglichkeiten an den Anlagen und verwies auf die Beratungsangebote der ThEGA.
Die Aufgabe von Prof. Dr. Reinhard Guthke, Vorstand des Bürgerenergie Thüringen e.V. war es den Anwesenden das Thema der Energiegenossenschaften näher zu bringen. Er zeigte auf, dass in Deutschland schon rund 1.000 solcher Genossenschaften mit mehr als 220.000 Mitgliedern gibt. Die Investitionen dieser Genossenschaften bezifferte er auf mehr als 3,3 Mrd. €. Außerdem zeigte er die Vorteile einer Genossenschaft ggü. anderen Unternehmensformen auf und schilderte anhand aktueller Beispiele, wie sich Energiegenossenschaften in Thüringen engagieren. Sein praktischer Tipp: der Mix machts. Eine Genossenschaft dürfe sich nicht nur auf eine Art der Stromerzeugung konzentrieren, sondern müsse sich möglichst breit aufstellen, schon um saisonale Schwankungen bei Sonne und Wind auszugleichen. An die Vertreter der Kommunen gerichtet, verwies er darauf, dass die Versorgung mit Energie eine Pflichtaufgabe aus der Thüringer Kommunalordnung ist und, dass die Beteiligung von Kommunen an Bürgerenergiegesellschaften möglich sei.
Zum Abschluss der Veranstaltung hatten die Vertreter der verschiedenen Thüringer Energieunternehmen, die vor Ort waren, die Möglichkeit, sich zu dem Bürgerenergieprojekt der VG Kölleda zu äußern. Das Ergebnis: anspruchsvoll, aber hochinteressant für alle und Agrar-Photovoltaik ist eine Technologie, um die in der Zukunft niemand herum kommen wird.
Diesem Fazit in Bezug auf die Agrar-Photovoltaik schloss sich auch der VG-Vorsitzende Sebastian Goldhorn an. Er betonte nochmals, dass es der VG vor allem um nachhaltige Investitionen in allen ihren Gemeinden geht und, dass die Beteiligung der Bürger dabei an allererste Stelle stehen müsse. Dies unterstrichen Torsten Köther, Michael Köhler (Bürgermeister Kleinneuhausen) und Madeline Temme (Bürgermeisterin Ostramondra) ebenfalls. Frau Temme, die im Hauptberuf Ausbildungskoordinatorin bei der Handwerkskammer Erfurt ist, sagte zu, die besondere Dringlichkeit des Fachkräftemangels in der Solarbranche mit in ihre Institution hereinzutragen.
Am Ende einer erkenntnisreichen und von allen Teilnehmern sehr positiv aufgenommenen Veranstaltung bedankte er sich bei allen Gästen und verdeutlichte nochmals, dass die heutige Tagung nur der Auftakt für ein großes Gesamtprojekt sein werde, dass für die Region und ihre Bürger langfristig von großem Vorteil sein könne.